Artikel aus METALL, Ausgabe 4/2018
Intelligente Kombination von traditionellen und innovativen Verfahren schafft echten Mehrwert
Die Rosswag GmbH ist ein mittelständisches Familienunternehmen mit über 200 Mitarbeitern. Unter dem Namen Edelstahl Rosswag ist das Unternehmen als größte Freiformschmiede Süddeutschlands bekannt, mit über 100-jähriger Erfahrung beim Umgang mit Metallwerkstoffen. In einer ganzheitlichen Prozesskette verarbeitet Rosswag 400 verschiedene Legierungen zu hochbelastbaren Schmiede- und Ringwalzprodukten, unter anderem für den Energiemaschinenbau, die Luft- und Raumfahrtindustrie, die Kraftwerkstechnik, den Pumpenbau und die optoelektronische Industrie. Seit sechs Jahren ergänzt die Division Rosswag Engineering das Portfolio mit der Konstruktion und Fertigung kompletter Bauteile.
Da sich viele komplexe Geometrien nur über additive Verfahren realisieren lassen und häufig auf Schmiede-Rohteilen aufgebaut werden muss, erfolgte schon bald der Einstieg in die Technologie des selektiven Laserschmelzens (SLM), auch Metall-3D-Druck genannt.
Eigene Metallpulver-Produktion für optimierte hybride Fertigung
Die Rosswag-Ingenieure stellten jedoch schnell fest, dass für den additiven Formaufbau auf einem Schmiedeteil idealerweise Pulvermetall mit der exakt gleichen Legierung verwendet wird. Gregor Graf, Abteilungsleiter Engineering, vergleicht das gerne mit einem Beispiel aus der Medizin: „Wenn eigene Haut transplantiert wird, ist das immer besser für Körper anzunehmen als fremde Haut.“
Dass eine wirklich identische Beschaffenheit des Metallpulvers nur gewährleistet werden konnte, wenn das Pulver im eigenen Haus aus der gleichen Charge hergestellt wird, lag auf der Hand. Auch das Bestreben, die Ressourceneffizienz im Schmiedeprozess hochzuhalten, sprach für eine Inhouse-Pulverproduktion. Schließlich fallen bei Rosswag viele Tonnen Schmiedereste pro Jahr an, die in der Vergangenheit als Metallschrott vergleichsweise geringen Erlös brachten.
Um jedoch für die eigene SLM-Produktion sinnvoll eingesetzt werden zu können, musste eine Pulverproduktionsanlage ganz bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Eine wesentliche Bedingung war die Eignung auch für kleine Chargen, um Pulver gezielt für einzelne Bauteile zu können. Bislang verfügbare Anlagen waren dafür bei weitem zu groß, eine Kleinmengenproduktion war damit nicht wirtschaftlich sinnvoll möglich.
Ende 2015 kam dann der Kontakt zu Indutherm Erwärmungsanlagen GmbH und deren Tochter BluePower Casting System GmbH im nur 15 km entfernten Walzbachtal zustande. Die Unternehmensgruppe hatte gerade in einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit der Universität Bremen eine Pulververdüsungsanlage für kleine Metallpulvermengen zur Serienreife entwickelt. Die vorhandene Anlage AU 1000 konnte durch Pulverqualität und Ausbringungsrate überzeugen, war jedoch mit einer Schmelztemperatur von rund 1500° C nur für eine begrenzte Zahl von Legierungen geeignet. Eine für die Rosswag-Anforderungen geeignete Hochtemperatur-Version befand sich allerdings gerade in Entwicklung – im Rahmen des ZIM-Forschungsprojekts „Calidus“ mit dem Institut für Werkstofftechnik IWT Universität Bremen. Nach vielversprechenden Test-Verdüsungen am Versuchsaufbau an der Uni Bremen einigten sich Rosswag und Indutherm/BluePower auf einen Kooperationsvertrag – eine für beide Seiten glückliche Entscheidung, wie sich herausstellen sollte: so konnte das Know-how von Rosswag bezüglich Stahllegierungen und Anforderungen an die SLM-Tauglichkeit der gewonnenen Pulver in die Entwicklung mit einfließen.
Bei der Produktion von Metallpulver für den SLM-Einsatz ist eine hohe Ausbringungsrate an sehr feinem Pulver erforderlich. Bei Stahllegierungen bedeutet das hohe, exakt definierte und eingehaltene Schmelztemperaturen sowie den Einsatz der Heißgas-Verdüsung. Heißes Gas zerteilt dabei das aus der Düse austretende Metall in feinste Partikel. Die Herausforderung bei der Zerstäubung liegt in der Einstellung der Parameter, um die gewünschte Partikelgröße und Partikelform zu erzeugen. Wichtige Parameter sind hierbei die Temperatur und der Druck des Zerstäubergases, die Temperatur und der Massestrom der Schmelze beim Abgusssowie die Stoffeigenschaften (Viskosität und Oberflächenspannung) der Schmelze.
Die gemeinsame Entwicklungsarbeit verlief erfolgreich für alle Beteiligten: Ende 2017 wurde stellte Blue Power die neue Anlage AU 3000 fertig, baute sie bei Rosswag auf und nahm sie in Betrieb. Eine im Praxisdurchschnitt erzielte Ausbringungsrate von über 60% an SLM-fähigen Material ist nach heutigem Stand als sehr hoch anzusehen.
Neue Wertschöpfung statt Schrott-Recycling
Die Erfolgsstory geht weiter: Bei Rosswag Engineering freut man sich nicht nur über die Erweiterung des Leistungsportfolios und die Innovationen in der Bauteilfertigung, sondern auch über zahlreiche Auszeichnungen (Deutscher Rohstoff-Effizienzpreis 2016, „Ausgezeichneter Ort im Land der Ideen 2017“, „100 Betriebe für Ressourceneffizienz, Baden-Württemberg 2017“) sowie über Einladungen zu Kongressen und Teilnahmen an nationalen und internationalen Forschungsprojekten.
Rosswag konnte die Schrottmenge, die ins klassische Recycling geht, konnte deutlich reduzieren; statt dessen trägt der Edelstahlschrott jetzt zu neuer Wertschöpfung bei. Da weit mehr Schmiedereste zu qualifiziertem Metallpulver verarbeitet werden können, als in der eigenen SLM-Fertigung benötigt werden, wurden jüngst Kooperationen eingegangen mit dem Recyclingunternehmen Cronimet, Karlsruhe und mit SLM Solutions. Letztere vertreiben exklusiv die diversen von Rosswag produzierten Pulverstahllegierungen.
Blue Power hat volle Auftragsbücher für seine Pulververdüsungsanlagen und ist ebenfalls in zahlreiche neue Forschungsprojekte involviert. Die Atomiser-Anlagenfamilie befindet sich bereits in der nächsten Ausbaustufe: explosionsgeschützte Anlagen z.B. für die Produktion von Pulver aus Legierungen auf Aluminium-Basis. Aktuell stellt Blue Power im übrigen die neueste Version des Air Classifiers AC 1000 G vor: der Windsichter ermöglicht die Separation von Metallpulvern nach Größenklassen speziell in Bereichen <50 µm, in denen klassische Siebmethoden an ihre Grenzen stoßen. Die Anlage kann jetzt auch nahezu raumluftunabhängig unter Schutzgas betrieben werden, um Beladung mit Luftfeuchte, Sauerstoff oder Verunreinigungen zu minimieren.
links: Einfüllen der Schmiedereste – rechts: Schmiede-SLM-Hybrid-Bauteil. Auf das hochbelastbare, faserverlaufgerecht geschmiedete Rohteil wird in der SLM-Anlage additiv aufgebaut
Fazit:
Recycling ist nur noch die zweitbeste Lösung. Denn die Produktionsabfälle hochwertiger sortenreiner Legierungen für vergleichsweise geringen Erlös zu verkaufen und kosten- und energieintensiv über Straße, Schiene und Schiffsfracht oft tausende Kilometer zum Aufbereiten zu schaffen und sie dann in minderer Qualität zu re-importieren, erscheint fragwürdig angesichts des Bedarfs an hochwertigen Legierungen für neue Technologien. Das Rosswag/BluePower-Projekt ist deshalb ein hervorragendes Beispiel für Rohstoff-Effizienz: Upcycling statt Downcycling – für jeden Metallverarbeiter eine gründliche Überlegung wert.